Ich greife mal den Impuls von Southpark und der Kaltmamsell auf.
Aufgewachsen bin ich in einem Haushalt, in dem anfangs gar nicht so unglaublich viele Bücher im Regal standen, in dem aber Bücher gelesen, verschenkt, diskutiert, hin und her ausgeliehen wurden. Genau genommen war ich als kleines Kind in zwei Haushalten, in dem anderen, dem Haus meiner Großmutter, standen mehr Bücher aber auch keine erschlagenden Mengen, auch hier spielten Bücher im Alltag eine selbstverständliche Rolle. Ich sehe einige der Regale noch vor mir. Bei meinen Eltern stand „Der Butt“ und „Herr der Ringe“, „Die Kelten in Mitteleuropa“, ein vielbändiges zoologisches Lexikon, bei der Großmutter standen mehrere Bände Wilhelm Busch, ein auffälliger gelber Buchrücken mit der Aufschrift „Der Sowjetmensch“, verschiedene Ratgeber von Reader’s Digest und Romane von Knut Hamsun usw..
Irgendwann im Kindergartenalter hatte ich mir mithilfe der Buchstabiertafel meines fisher-price-Doktorkoffers selbst das Lesen beigebracht, das aber zunächst nur auf Beschriftungen im öffentlichen Raum und das Fernsehheft angewendet. Da ich die Zahlenfolgen der Uhrzeiten nicht verstand, war das weniger hilfreich gewesen als ich erwartet hatte. Meine Mutter las mir jeden Abend ein Kapitel vor, z.B. aus „Feuerschuh und Windsandale“ oder „Rasmus und der Landstreicher“. Eines Abends las sie mir das erste Kapitel von „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ vor, das war so spannend dass ich den Rest des Buchs dann selbst weiterlas.
Ab dann habe ich mehr oder weniger alles gelesen, was greifbar war. Bücher, die ich zum Geburtstag, zu Weihnachten oder anstandslose Zahnarztbesuche bekommen hatte, Bücher meiner Eltern, Bücher, die im Haushalt meiner Großmutter noch von früher vorhanden waren, Bücher aus der Stadtbücherei, „Das Beste von Reader’s Digest“, die auf der großmütterlichen Toilette und das Gewerkschaftsheft und die Kirchenzeitung, später „Die Grundschulzeitschrift“, die auf der meiner Eltern auslagen, als ich im Gymnasium war auch Bücher, die ich von Freundinnen auslieh. Meine Versuche, meine eigenen Bücher bibliothekarisch zu erfassen, zu nummerieren und in handgeschriebene Listen alphabetisch einzutragen, scheiterten daran, dass immer wieder neue Bücher dazu kamen und ich immer wieder komplett von vorne beginnen musste, so dass ich über die ersten Buchstaben nie hinauskam. Das Thema Bücher wurde dann nochmal ganz anders präsent, als meine Mutter anfing, welche zu schreiben, und ich plötzlich auch hinter die Kulissen von Verlagstätigkeit und Buchherstellung schauen durfte.
Als ich dann zum Studieren ausgezogen war, tat sich die wunderbare Welt moderner Antiquariate vor mir auf. Wochenlang habe ich auf jedem Weg zur Uni in der Heine-Buchhandlung irgendein makuliertes Exemplar für wenig Geld mitgenommen – bis das anfangs riesig erscheinende 80er Billyregal plötzlich doppelreihig voll war und ich recht abrupt mit dem Bücherkaufen und Bücher schenken lassen aufhören musste. Das Studienjahr in England hat mir dann noch einen völlig neuen Zugang zu fremdsprachiger Literatur eröffnet, zudem war York damals eine Stadt der Antiquariate, das Übergepäck, mit dem ich nach einem Jahr zurückreiste bestand ausschließlich aus zwei Beuteln mit Büchern, die zusätzlich auch in der Fototasche, im Kulturbeutel und allen anderen freien Gepäckfächern steckten. (Ich erinnere mich noch, wie ich am Schalte die steinschwere Fototasche mit „this is just a camera“ hochhielt, Kabinengepäckwar damals noch nicht auf einzelne Stücke limitiert). Weil dies Bücher irgendwo hinmussten, schraubte ich einzelne Regalbretter über alle Türstürze und erweiterte den Bestand nochmal um ein paar Meter.
Praktischerweise eröffnete die Unibibliothek irgendwann ein Freihandmagazin, in dem die Bücher nach Anschaffungsdatum einsortiert waren. Ich gewöhnte mir an, immer die neusten Regalbretter durchzusehen, denn zu meiner Überraschung schaffte die SUB auch umfangreich neu erschienene Romane an.
Als ich dann in eine größere Wohnung bezog, anfing zu arbeiten und plötzlich ungeahnt viel Geld zur Verfügung hatte, fing ich an, wieder in größerem Sil Bücher und weitere Billyregale zu kaufen – einfach weil ich es konnte. Leider musste ich ungefähr zeitgleich ein extra Regal für ungelesene Bücher anfangen, denn ich kam mit Lesen nicht mehr hinterher.
Etwas später zog der Liebste mit allen seinen Büchern und weiteren Billyregalen hier ein. Unsere Bücher existierten dann mehrere Jahre getrennt in nach unseren jeweiligen Kriterien sortierten Regalen. Irgendwann Anfang 2012 beschloss der Liebste, seine Bücher nach der Farbe zu sortieren. Ich war entstetzt, hielt die Idee für völlig bescheuert und bat dringlich, meine Bücher von solchen abwegigen Ideen zu verschonen.
Es dauerte ein paar Tage, bis seine Bücher farblich sortiert wieder in den Regalen standen. Das sah edel und klar aus. Meine Regale wirkten dagegen scheckig und wirr. Da seufzte ich tief und sagte: „ich werde jetzt alle meine Bücher stempeln, damit ich sie im Fall wiederfinde und dann sortier bitte meine Bücher, bis auf die ungelesenen, mit ein.“ Es dauerte mehrere Tage bis wir alle Bücher so sortiert hatten, dass einzelne Regale komplett nur noch eine Farbe enthielten. Als es geschafft war, sank ich in den Sessel und sagte „jetzt ist auch alles egal, wenn die Bücher schon vermischt sind, können wir auch heiraten“ – und so kam es dann auch.
Ab dann kuratierten wir gemeinsam farbliche sortierte ca 80m Buch in unserer Wohnung. Gelegentlich sortierten wir mal eine Kiste voll Büchern aus fürs Antiquariat oder eine Spendenaktion und kurz drauf war der gewonnene Platz wieder befüllt – obwohl mein Lesetempo langsam geworden ist und ich eigentlich kaum Bücher kaufe, aber irgendwie sammeln sie sich trotzem an.
Jetzt steht ein Umzug in eine kleinere und völlig anders geschnittene Wohnung an. Bei der Besichtigung durch das Umzugsunternehmen sagte der Mitarbeiter beim Anblick der Regale nur „Hallelujah“. Das löste dann fast eine Art Ehrgeiz aus, jetzt doch wirklich mal auszusortieren.
Das fiel mir anfangs sehr schwer. Eigentlich alle Bücher, die da standen, mochte ich, erinnerte mich an etwas aus dem Buch oder die Bücher erinnerten mich an etwas aus meinem Leben. Anfangs konnte ich nach einigem Überlegen von 50 Büchern drei aussortieren. Dann stellte ich fest, dass es mir meist schon am nächsten Tag recht mühelos gelang, aus denselben Büchern nochmal drei und dann an einem anderen Tag wieder drei auszusortieren. Ich machte mir klar, dass die Bücher nicht, weil ich sie aussortiere, zu schlechten Büchern werden. Es waren und bleiben gute Bücher, aber sie müssen eben künftig woanders wohnen – sollte ich doch nochmal reinschauen wollen, kaufe ich sie eben neu. Also trugen wir viele, viele Taschen zu Oxfam. Und dann wurde es immer leichter. Die Regale sahen plötzlich nicht mehr aus als brächen sie sofort zusammen. Die übrig gebliebenen Bücher sind solche, die ich mich wirklich zu sehen freue. Und ich sehe mehr davon, weil sie nur noch in einer Reihe stehen.
Geblieben sind alle Bücher von Joseph Roth, Nick Hornby, Ian McEwan, Bill Bryson, John Irving, Juli Zeh, auch wenn ich z.B. gerade weder von Irving, noch von Juli Zeh neue Bücher lesen wollen würde. Geblieben sind Fachbücher und Kunstbände. Bis auf wenige Ausnahmen sind die historischen Kochbücher noch da. Das Lexikon der christlichen Ikonographie durfte bleiben. Diverse Romane und auch einige Sachbücher. Insgesamt ca 65 Meter sind noch da, sagt der Umzugsmann. Ein paar Bücherstapel (im Küchenschrank, auf dem Couchtisch, neben meinem Bett, auf dem Schuhregal) sind noch aufzulösen. Geplant ist, das in der neuen Wohnung Bücherregale entlang des Flurs stehen werden. Darauf freue ich mich sehr. An den Büchern, die jetzt noch da sind, täglich mehrfach vorbeiflanieren und an die Dinge denken, für die sie wichtig sind.
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